11. Jul 2018 von Michel Doermer mit 0 Kommentar/en

Krisenkommunikation, Krisenmanagement – Hauptsache keine Ahnung!


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Kaum ist die deutsche Mannschaft in der Vorrunde der WM in Russland rausgeflogen, stellen Teammanager Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel den Spieler Mesut Özil an den Pranger. Das sei katastrophale Krisenkommunikation – so die Lesart des Großteils der Kommentatoren in Medien und Sozialen Medien. Die Diskussion ist emotional. Denn es geht nicht nur um Fußball. Sondern um Haltung, Anstand, Führung, Kommunikation und um gesellschaftliche Fragen.

Vier Einwürfe aus der kommunikativen Ecke

Die Kommunikation des DFB als Kommunikationsberater nüchtern zu betrachten ist nicht ganz einfach. Denn manches ist hanebüchen und an Skurrilität kaum zu überbieten: So etwa eine Episode aus der DFB-Pressekonferenz am 13. Juni in Moskau. Dort beklagt sich Grindel vor Journalisten, dass in den Medien so viel über schlechte Krisenkommunikation stehe, um im selben Atemzug zu fragen: „Aber wo lese ich denn mal, wie besseres oder gutes Krisenmanagement ausgesehen hätte?“ Nun ist Medienschelte nicht hilfreich ebenso wenig wie Journalisten Fragen zu stellen, auf die man selbst keine Antwort hat. Stefan Hermanns vom Tagesspiegel hat richtig bemerkt, dass Journalisten eine andere Aufgabe haben, als eine Mannschaft nach vorne zu brüllen oder den DFB zu beraten.

Erster Einwurf: Krisenprävention

Wer glaubt, dass Krisenkommunikation dann beginnt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist – oder Bilder von Nationalspielern mit dem türkischen Präsidenten in der Welt sind – irrt. Wenn überhaupt kann man dann noch dafür sorgen, dass ein bereits in der Öffentlichkeit diskutiertes Problem nicht noch viel größeren Schaden anrichtet. Daher greift es zu kurz, sich damit zu beschäftigen und zu klären, wer wann was wie gesagt, getan oder unterlassen hat.

Professionelle Krisenkommunikation als integraler Teil des Krisenmanagements beginnt viel früher. Das Schlüsselwort heißt Krisenprävention, wörtlich ‚einer Krise zuvorkommen‘ bzw. im übertragenen Sinne ‚eine Krise verhindern‘. PR-Profis und Krisenmanager nennen das im Fachjargon auch Issues Management. Dabei antizipieren sie Risiken, die das Potential haben, sich zu Krisen zu entwickeln, die für die Reputation einer Institution, sei es ein Unternehmen oder ein Fußballverband, derart schädlich sind, dass das operative Geschäft – im Falle des DFB die Titelverteidigung – leidet.

Erfahrung zeigt, dass ein Großteil der Krisen durch Prävention verhindert werden. Im konkreten Fall um die Bilder von Gündogan und Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan heißt das, dass eine professionelle Krisenkommunikation das Szenario – also Spieler der deutschen Nationalmannschaft mit Politikern – auf dem Zettel gehabt und Maßnahmen eingeleitet hätte, so etwas zu verhindern. Sowas kann man sich nicht ausdenken? Doch – Erdogan und seine PR-Berater konnten das doch auch! Erstens ist es nicht das erste Mal, dass Özil Erdogan trifft. Zweitens ist es geradezu schon  Tradition, dass Fußballer sich auf politisch dünnes Eis begeben. Berti Vogts will 1978 bei der WM in Argentinien keine politische Gefangenen und Franz Beckenbauer auf seinen Reisen nach Qatar keine Sklaven gesehen haben. In diesen Tagen ließ sich Lothar Matthäus mit Vladimir Putin fotografieren. Dass gegen einzelne Spieler rassistisch gehetzt wird, ist ein zweites Krisenszenario, auf das der DFB hätte vorbereitet sein müssen. Auch das ist nach Gaulands Tweet zu Jerome Boateng nichts Neues.

Zweiter Einwurf: Krisenvorbereitung

Und was ist mit Krisen, die man trotz Krisenprävention nicht verhindern konnte? Die gibt es, aber darauf kann man sich vorbereiten. Dazu gehört, dass Führungskräfte und Kommunikatoren Routinen und Prozesse für den Ernstfall einüben. Dazu kann auch das Einrichten einer Task Force gehören, eventuell auch mit Externen, weil die eigenen Ressourcen oder Expertise nicht ausreichen. Ziel der Krisenvorbereitung ist es im Ernstfall vor allem schnell zu kommunizieren, weil Zeit ein entscheidender Faktor ist. Da ist es fatal, wenn Zeit verloren geht, weil Prozesse etwa für Abstimmungen nicht funktionieren oder Zuständigkeiten unklar sind.

Dritter Einwurf: Kommunikationskompetenz

Wenn es richtig ist, dass Fußball heute mehr als nur Sport ist, sondern auch Zirkus und Geschäft, dann ist es nicht nachvollziehbar, warum in der Pressestelle des DFB ausschließlich ehemalige Fußballjournalisten arbeiten. Nichts gegen Fußballjournalisten. Aber, zur strategischen Kommunikation gehört mehr als fußballjournalistische Expertise. Wenn da niemand ist, der beruflich schon mal über den Rand des Fußballplatzes hinausgeschaut hat, wundert es wenig, dass selbst solch simple Dinge, wie das Autorisieren von Zitaten, in die Binsen gehen. Das hat zumindest Bierhoff im ZDF-Interview mit Oliver Welke und Oliver Kahn am 6. Juli behauptet. Und noch mehr: Es habe sich bei seinem Zitat zu Özil in seinem Interview mit der Tageszeitung ‚Die Welt‘ einige Tage zuvor um ein Missverständnis gehandelt. Das strittige Zitat aus dem Welt-Interview lautet: „Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet.“ Im ZDF erklärt er dann: „Wenn wir auf ihn hätten verzichten wollen, dann aus sportlichen Gründen. Aber wir haben uns für ihn entschieden.“ Wer genau hinschaut, erkennt, dass hier gar kein Missverständnis erklärt wird. Hier wird plötzlich das Gegenteil der ursprünglichen Aussage behauptet. Das ist eine sogenannte Notbremse. Aber so einfach ist das nicht. Denn hier geht es um Glaubwürdigkeit. Die wird nicht durch widersprüchliche Behauptungen hergestellt. Glaubwürdigkeit liegt im Ermessen der Zielgruppen. Daher steht nun Bierhoffs Glaubwürdigkeit auf dem Spiel ebenso wie die Reputation des DFB, dessen leitender Angestellter er ist.

Jetzt sollte man denken, dass der DFB nach der Bierhoff’schen Notbremse nicht gleich wieder Vollgas gibt. Vor allem auch, weil Welke und Kahn im Interview mit Bierhoff eine weitere Schwachstelle bloßgelegt haben: solange die Analyse der sportlichen Leitung zum frühen Ausscheiden der Nationalmannschaft nicht vorliegt, gäbe es doch gar nichts zu kommunizieren. Doch keine zwei Tage später veröffentlicht das Sportmagazin ‚kicker‘ ein exklusives Interview mit dem DFB-Präsidenten, in dem es wieder um Özil geht.

Vierter Einwurf: Haltung und Anstand

Im kicker-Interview fordert der Verbandspräsident den Spieler unmissverständlich auf, sich mit Blick auf die Fotos mit Erdogan zu erklären, und zwar so, dass alle Fragen der Fans und des Verbands beantwortet sind. Zudem stellt er Özils Leistung und Zukunft in der Nationalmannschaft in Frage. Die hingen von der Bewertung von Jogi Löw ab. Diese Aussagen machen sprachlos, führen zur Irritation und zu einem weiteren Glaubwürdigkeitsproblem. Denn viele hatten lange vor der WM, direkt nach der Veröffentlichung der Fotos eine Stellungnahme Özils gefordert – nur nicht der DFB. Der wurde vielmehr als Akteur wahrgenommen, der viel unternahm, um die Debatte zu beenden. Nun macht aber der DFB-Präsident das Fass wieder auf. Dabei ist keine Strategie erkennbar, die gut für den DFB oder die Nationalmannschaft wäre. Im Gegenteil: alles für was die Nationalmannschaft über Jahre stand wurde in wenigen Tagen durch Kommunikation des DFB konterkariert. Viele Menschen im Land waren stolz auf ‚Die Mannschaft‘, die attraktiven und erfolgreichen Fußball spielte und zugleich für ein buntes, offenes Deutschland stand. Jetzt, da man nicht mehr erfolgreich ist, macht die Verbandsspitze einen Einzelnen zum Sündenbock. Das widerspricht nicht nur jedem globalen Sportverständnis von Fairness und Mannschaftsgeist, sondern auch dem Claim, den der Verband dieser Mannschaft aufs Logo geschrieben hat: #ZSMMN.

Die Kommunikation des DFB offenbart ein Fehlen von Haltung und Anstand. Spätestens jetzt fällt dem DFB auf die Füße, dass er unvorbereitet ist, auf entscheidende Fragen keinerlei Antworten hat: Wie geht man mit Spielern um, die sich für den Wahlkampf von Erdogan in der Türkei einspannen lassen? Wie mit Rassismus, der sich gegen genau diese Spieler richtet? Wie reagiert man auf Kommentare ehemaliger Nationalspieler, unter denen auch ein Ehrenspielführer der Nationalmannschaft ist, die persönliche Angriffe ausgerechnet auf die Spieler starten, die eh schon im Fokus des rassistischen Kreuzfeuers stehen? Und auch: Wie geht man mit sportlichem Misserfolg und mit Führungskräften um, die öffentlich mit dem Finger auf andere zeigen?

Fazit

Haltung und Anstand lassen sich aus Werten ableiten, über die in einer Organisation wie dem DFB Einigkeit und Klarheit bestehen sollte. Werte sind die Grundlage jeder Kommunikation und Handels, auch und gerade in der Krise. Wer meint, er könne heute etwas sagen und morgen das Gegenteil behaupten, ist zum Scheitern verurteilt. Das alles gehört zum kleinen Einmaleins von Führung und Kommunikation ohne die weder Krisenmanagement noch Krisenkommunikation funktionieren kann. Man hätte glauben wollen, dass dies in einer Organisation wie dem DFB bekannt ist. Der Eindruck, den der größte Sportverband der Welt erweckt ist aber, dass dort Ahnungslosigkeit herrscht.

 

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